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Mutter Erde

Eines schönen Tages, …

– War es schon oder wird es noch kommen? Oder habe ich es alles nur geträumt?
Ich weiß es nicht. –

also, eines schönen Tages, da wachte Mutter Erde, eine zauberhafte kleine, blaubunte, im Licht ihrer Sonne glänzende, Kugel auf und stellte fest, dass sie etwas juckte und störte. Es störte sie so doll, dass sie gar nicht mehr wusste, wie ihr geschah. Die kleinen weißen Wölkchen, die sie so himmlisch umspielten, waren es nicht. Auch das herrlich frische Wasser, die saftigen grünen Wiesen und goldenen Wüsten waren es nicht.

Es waren käferartige Wesen, die sich Menschen nannten. Ja, niederes Geschmeiß war es, das sie plagte. Alles schmerzte und am liebsten hätte sie die ganze Bagage zum Mond gejagt. Schon lange plagten sie diese kleinen Würmer, die sich überall in sie einnisteten und sie stachen und piesackten. Nun war es ihr zu viel.

Warum tun sie mir das an?“ dachte sie an diesem Morgen. „Bin ich ihnen denn keine gute Mutter? Gebe ich ihnen nicht alles, was sie zum Sein brauchen? Ich drehe sie zum Licht, damit sie leben können, ich drehe sie ins Dunkel, damit sie ruhen können. Ich umgebe sie mit den Elementen, damit ihr Körper und ihr Geist an ihnen wachsen und gedeihen kann.“

Ich ertrage ihre Zerstörungswut nicht mehr. Sie sind so undankbar. Sieben milliardenfacher Fluch.“

Und wenn sie sich früher nur ab und zu mal ein bisschen gekratzt hatte, so wurde sie an diesem Tag richtig wütend. Sie fing an zu hüpfen und zu springen. Sie schüttelte sich vor Zorn. Sie drehte sich links herum und sie drehte sich rechts herum. Sie kehrte ihr Innerstes nach außen – und dort innen war es heiß! Sie ließ die Nacht zum Tag und sie ließ den Tag zur Nacht werden. Wo es feucht war, wurde es wüst und trocken und wo es trocken war ließ sie alles ersaufen. Die Hitze fror sie ein und das Eis verbrannte sie.

Wir wollen lieber nicht darüber nachdenken, wie es den Menschen dabei erging. Aber, wie schlimm es auch immer für sie sein mochte, sie fingen nur an, sich noch tiefer in die Erde einzugraben.

Irgendwann nützte alles, was die Erde sich ausdachte, um sich zu befreien, nichts mehr. Die Würmer waren nicht weg zu bekommen. Es war ein einziger bitterer, stechender Schmerz, den sie ihr verursachten. Mutter Erde wollte nicht mehr leben und konnte doch auch nicht sterben.

Sie musste bitterlich weinen. Sie weinte und weinte. All ihr Leid wurde ihr bewusst. Jeder gerodete Wald, jeder verseuchte Fluss und jede zubetonierte Stadt, die sie in ihr Fleisch gebohrt hatten. Jeder Krieg, jeder Gemeuchelte, jeder Gefolterte und jede Ohrfeige, die sie sich untereinander gaben. Jeder noch so kleine Schmerz ließ einen Tropfen der Trauer quellen. Es entstanden Ströme und Meere von Tränen.

Das ging eine ganze Zeit so. Sie war wie betäubt. Irgendwann, nachdem sie sich so richtig ausgeweint hatte, spürte sie dann, wie eine warme Kraft sie durchströmte. Die Liebe ergoss sich über sie. Die Härte ließ nach. Wärme packte alles ein, linderte den Schmerz. Es fühlte sich gut an, wohlig. Ruhe überkam die erschöpfte Erde. Und endlich fiel sie in einen tiefen tiefen Schlaf.

Na, du geplagte Seele,“ vernahm sie eine Stimme. Es war die Stimme ihrer Mutter, der Sonne, die zu ihr im Traum sprach. Sie war getragen von der Liebe, die jetzt in ihr und um sie war. „Du lieber alter Rundling. Hast du Kummer? Wollen sie nicht von dir lassen? Findest du keinen Weg, sie zu bremsen?“ Die Sonne gab ihr freundlichstes Lächeln dazu.

Die Erde schluchzte und nickte.

Ja, genauso ist es,“ antwortete sie. „Sie sind nicht zu stoppen. Warum muss ausgerechnet mir das passieren? Von den eigenen Kindern werde ich in den Wahnsinn getrieben!“

Lass los,“ fuhr die Sonne fort. „Stelle dich nicht gegen den ganzen Schmerz. Du bist es auch selbst, die dir den Schmerz zufügt. Ihre Unruhe ist deine eigene Unruhe. Sie sind genauso ein Teil von dir, wie die Wälder, die sie roden. Sie glauben, sie könnten sich von dir trennen. Aber sie können es nicht schaffen. Alles ist eins. Nicht trennbar, unendlich. Im Anfang, wie im Ende. Du bist auf deinem kreisenden Weg um mich gehalten. Und so, wie du einer von unendlich vielen Planeten bist, mit denen du verbunden bist und die Teil des Unfassbaren sind, so sind sie eins mit dir. Dein Schmerz ist die Summe ihrer Schmerzen.“

Die Erde hörte gut zu und sie fühlte, dass all das, was die Sonne sagte, wahr war. Das erleichterte. Sie blickte auf und gab damit Zeichen, dass sie mehr hören wollte.

Sie sind nicht wirklich schlecht. Es sind keine bösen Wichte. Sie sind dein denkendes Ich. Dein Traum ist der Traum, den sie jetzt träumen. Sie tragen alle an einer großen Gabe, die ihnen erteilt wurde. Ich meine das Leben. Es ist ihnen eine zu große Gabe. Sie können ganz einfach nicht verstehen, wie es sein kann, dass sie sich ihrer selbst bewusst sind, denken, fühlen, machen und lieben können und trotzdem irgendwann nicht mehr sein werden. Sie sind plötzlich aus dem Nichts da und morgen sollen sie schon wieder tot sein. Es ist doch ganz verständlich, dass sie sich all diese Fragen stellen. Wo komm ich her? Wo geh ich hin? Dabei werden sie nervös, hektisch, lethargisch, aggressiv und depressiv.“ Einen Augenblick lang war sie still.

Es braucht viel Zeit, zu lernen, damit zu leben, dass man ist und bald doch nicht mehr sein wird.“

Die Erde war mittlerweile ganz ruhig geworden. „Ja, so muss es sein,“ dachte sie.

Es ist aber nicht nur eine Last,“ versuchte die Sonne den Gedanken weiter zu führen. „Es ist vor allem auch eine große Chance. Vielleicht einzigartig im Kosmos.“

Nach einer kleinen Pause begann sie wieder: „Es ist dir mit deinen Menschen die große Möglichkeit gegeben, etwas unfassbar Schönes zu schaffen. Eine der wundervollsten Blüten im gesamten Universum. Menschlicher denkender, liebender und fühlender Geist im Einklang mit einer Natur, deren Wunder eins faszinierender als das nächste ist.“

Mutter Erde, verstehst du denn gar nicht, was mit dir passiert? Merkst du nicht, dass du wieder schwanger bist? Du bist auf dem Wege, eine völlig neue Menschheit zur Welt zu bringen.“

Da wurde die Erde ganz still. Sie schämte sich für ihre heftigen Reaktionen. Sie machte sich unendliche Vorwürfe, dass sie so viele von ihnen grausam getötet hatte. Doch irgendwann merkte sie, dass es alles zu nichts führte. Sie hätte in ihrer Situation nicht anders handeln können. Was geschehen ist, ist geschehen. Es gibt nur das Hier und Jetzt. Es ist eher eine Gemeinheit an sich selbst, sich an Vergangenes zu ketten. Nach und nach schaffte sie es, ihre unberechtigten Schuldgefühle beiseite zu stellen. Alles war gut. Alles war schlüssig. Wäre ihr sonst diese Erkenntnis gekommen?

Was kann ich denn machen?“ fragte sie die Sonne. Sie war jetzt bereit, alles zu tun, was in ihrer Macht lag.

Du musst ihnen ihre Angst und ihre Hektik nehmen. Das erste, was sie brauchen ist Ruhe. Ruhe und Geduld. Gelassenheit. Vertrauen. Vertrauen in die Liebe, aus der sie gemacht sind. Vertrauen in sich selbst. Nimm ihnen für eine Weile die Zeit,“ riet ihr die Sonne. „So können sie nicht in eine Zukunft streben, die es noch nicht gibt und sie können sich nicht über eine Vergangenheit streiten, die es nicht mehr gibt. Hier, im Augenblick, werden sie zur Ruhe kommen und jeden Einzelnen von ihnen wird die Wärme der Liebe erfüllen, so wie sie jetzt dich umgibt. Sie werden die Dankbarkeit empfinden und begreifen, wie groß das Geschenk wirklich ist, das sie empfangen haben. Und dass sie keine Angst haben müssen, vor dem Ende, denn in jedem Ende ist ein Anfang und die Kraft, die ihnen ihr Bewusstsein und ihre Existenz gab ist warm und voller Liebe. Was auch immer kommt, es wird nicht schlecht sein. Sie müssen lernen, daran zu Glauben und sich in ihr Selbst fallen zu lassen.“

 

Die Erde überlegte, was sie machen könnte, um die Zeit anzuhalten. Das ging nicht. Sie war Teil des Zeitraumes, genau wie alles andere. Auch sie lebte in dem Paradox, den Raum der Zeit zu erkennen, ihn aber nur in eine Richtung begehen zu können. Auch die Zeit der Erde ist endlich im Unendlichen. Was sie tun konnte, war sich langsam zu drehen. Alles zu entschleunigen. Die Menschen mussten ihre Zeit selbst anhalten. Sie konnten es. Sie konnten auch in sich selbst reisen.

Und so geschah es. Wie durch ein Wunder verblasste die Zeit. Und all das scheinbar bislang Wichtige vertrocknete, fiel zu Boden und wurde zu buntem Staub mit dem die Kinder Burgen bauten und allerlei lustige Dinge spielten.

Was folgte, war eine Zeit des Erwachens, eine Zeit der Erkenntnis und eine Zeit der Erlösung. Überall lagen sich die Menschen, die sich sonst gestritten und bekämpft hatten, in den Armen. Sie begriffen, dass sie alle eins waren. Es wurde Friede unter den Menschen, den Pflanzen und den Tieren. Es gab ein gigantisches Fest nach dem anderen. Die Fülle an Musik, Malerei und Bildhauerei, Geschichten und Theater, überhaupt an Kultur, die sich aus den Menschen entwickelte ist unbeschreiblich. In jedem Moment steckte der Zauber des Unendlichen. Die Menschheit entfaltete ihre Blüte. All das, was schon ewig in den Menschen schlummerte, brach aus ihnen hervor. Das Bewusstsein der Existenz erhob sich wie ein Regenbogen und umarmte alles Leben auf der Erde. …

und gerade, als alles anfing so schön zu sein,

da erwachte ich aus meinem Traum.

Epilog:

Also lieber Mensch. Wie du wohl selbst gemerkt hast, ist es noch nicht zu den berechtigten Wutausbrüchen der Erde gekommen. Ich vermute auch mal, dass die Erde nicht in der Lage sein wird, sich langsamer zu drehen. Das alles müssen wir schon selbst machen. Wie das gehen soll?

Nimm dich doch einfach erst mal selbst in den Arm, tröste dich und weine darüber, wie schwer das alles ist mit dem Leben und mit dem Sterben und so. Und wenn du dich ausgeweint hast, schau dich um und sieh all die anderen Menschen, die genauso arme Würstchen sind wie du. Glaubst du auch nur einer von ihnen versteht was hier wirklich vor sich geht? Wir können nur hinsehen und das Wunder bestaunen.

Lasst uns gemeinsam bei den Händen fassen, uns einander in die Arme nehmen und uns herzlich drücken. Lasst uns unsere Herzen öffnen und Freude und Liebe fliessen. Lasst uns die Welt um uns herum still stehen. Und schließlich lasst uns das große Ganze in all seiner Pracht betrachten. Die Meere und die Länder. Die Pflanzen und die Tiere. Und die Galaxien, die durch die Unendlichkeit schweben. Und lasst uns endlich Frieden mit all dem finden.

Und verdammt noch mal, lasst uns etwas tolles aus unserem Geschenk machen. Irgendwann ist es vorbei.