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Der Weg der Blume …

Ein kleiner Blumensamen war auf dem Weg seine Heimat zu finden. Schon lange träumte er von diesem Ort. Es war dort alles grün und ein kleiner Bach plätscherte an ihm vorbei und die Vögel zwitscherten von den Bäumen.

Seine Mutter hatte ihm viel davon erzählt. Dort wollte er seine Wurzeln tief in die Erde graben, das Wasser aus der Erde trinken, dem Licht entgegen wachsen und zu einer Blume werden. Als Blume wollte er sich von seiner schönsten Seite zeigen und der Sonne gleich die Welt ein wenig schöner machen. Die Bienen wollte er einladen, von seinem Nektar zu trinken und dann wollte er viele, viele kleine Samen bekommen und sich daran erfreuen, wie sie in die Welt ziehen. Schließlich, dass wusste er, wenn alles getan war, würde er wieder zu Erde werden. Und das war gut so. Das alles fühlte sich gut an.

Ein kleiner Junge wohnte ganz allein in einer großen Stadt hoch oben in einem riesigen Haus, in dem noch viele andere Menschen lebten. Die Menschen redeten nicht viel miteinander. Jeder hatte seine eigene kleine Wohnung. Sie hatten große Fernseher und Computer in ihren Wohnungen auf denen sich unendlich viele bunte Bilder bewegten und damit waren sie zufrieden. Der kleine Junge war damit nicht zufrieden. Er vermisste seine Eltern, die schon lange fort waren. Er sah aus dem Fenster in die Welt und wünschte sich, so sehr, dass alles einmal anders wird, dass er einmal den Wald, die Berge, die Flüsse, Seen und das Meer erleben könnte. Er sah aber nur auf eine große Kreuzung und viele andere hohe Häuser, die ihm meistens den Blick auf die Sonne verstellten. Das war gar nicht gut so. Das fühlte sich gar nicht gut an.

Ein großer Mann wohnte ganz allein in einer großen Stadt. Wie lange lebte er schon auf dieser Welt und hatte seinen wahren Platz immer noch nicht gefunden. Tag für Tag fuhr er mit seinem tollen Auto von seiner Wohnung in einem Hochhaus zu einem anderen Hochhaus in dem er genau die leblosen bewegten Bilder herstellte, die er abends wieder auf seinem Fernseher ansah. Er bekam viel Geld dafür und er hatte deshalb einen großen Fernseher. Und das in jedem Zimmer. Er hatte aber nichts, für das sich zu leben lohnte. Auch das war gar nicht gut so. Es fühlte sich überhaupt nicht gut an. Wie lange sollte er noch warten. Er war immer sehr traurig.

Der Blumensamen war nun schon ziemlich lange unterwegs. Seine Mutter war eine stolze Blume. Alle Blumen sind schön, aber seine Mutter war ganz besonders schön. Es war ja seine Mutter. Und er würde auch so eine schöne stolze Blume werden. Da wo er herkam, war es nicht wirklich schön. Seine Mutter wuchs neben einem Kuhstall und das roch nicht gut. Bald müsste er an seinem erträumten Ort sein. Er war voller Erwartung. Doch jetzt, zum Schluss seiner Reise kam ein gewaltiger Sturm auf. Es blitzte und donnerte und der Wind blies so stark, dass alles durcheinander gewirbelt wurde. Der Samen beschloss also so langsam irgendwo Wurzeln zu schlagen. Nein, das stimmt nicht ganz. Es wurde für ihn beschlossen. Der Regen spülte ihn in eine winzige Spalte in den rissigen Beton inmitten einer großen Kreuzung.

Da lag er nun. Die Reise war vorüber. Er hatte sich nichts gebrochen. Er fragte sich, wo er wohl gelandet war. Es war genug feuchte Erde dort, um mit dem Wachsen anzufangen. Und unter dem Stein war Sandboden mit leckeren Dingen. Lecker für Pflanzen. Er spürte, dass er Kraft genug haben würde, um seine Wurzeln bis dorthin durch den harten Boden zu bohren. Er hatte sogar ein bisschen das Gefühl von Heimat. Seit Generationen waren die Blumen seiner Art so auf der Reise und vielen seiner Brüder und Schwestern wird es ähnlich ergangen sein. Er konnte glücklich sein, eine so herrlich kuschelige Spalte gefunden zu haben. Gleich morgen wollte er beginnen, eine Blume zu werden und zu wachsen. Dann freute er sich auf das Grün und auf den Bach und die Vögel. War er an seinem Traumziel angekommen?

Der Ort, an dem die Blume heimisch wurde, war wie bereits erwähnt, mitten auf einer Kreuzung. Es war aber nicht irgendeine Kreuzung. Es war die meist befahrene Kreuzung der Stadt. Man nannte sie „Das große Kreuz“. Es war schwer zu sagen, von wo nach wo die Autos eigentlich fuhren. Einfach total durcheinander. Die Kreuzung war ständig voller Autos. Eins hinter dem anderen, eins neben dem anderen und eins über dem anderen. Die Abgase stanken bestialisch. Fast alle Menschen sahen grimmig aus den Fenstern heraus oder starrten geradeaus ins Nichts. Alle waren sie mit sich beschäftigt. Ganz selten sah man ein lächelndes Gesicht. Meistens waren das Kinder. Rings um die Kreuzung standen große, triste hohe Häuser, die die Menschen sich gebaut hatten, um dort zu leben. Den Himmel konnte man kaum sehen, so hoch waren sie. Und Menschen, Menschen gab es sonst kaum. Ohne Auto war man hier unten verloren. Es war eben so ein Ort, an dem man nicht gerne war. Kalt und leer, auch wenn die Sonne schien und überall die Autos fuhren.

Am nächsten morgen fing die Blume also an zu wachsen. Ohne langes Nachdenken begann sie ihr Werk. Zuerst nach unten, um dort festen Halt zu finden. Nachdem sie ihre Wurzeln tatsächlich durch den Beton hindurch gearbeitet hatte, trank sie einen ordentlichen Schluck Wasser und fing an den Stiel in die Luft zu recken. Den Kopf behielt sie zuerst noch demütig nach unten, doch als der Stiel sich voll gestreckt hatte, drehte sie ihn voller Stolz nach oben und blickte zum ersten mal in ihre Welt hinaus.
„Zisch!“ – „Sosch!“ – „Wrumm!“ – Riesige bedrohliche Teile bewegten sich um sie herum. Immer wieder verdunkelte sich der Himmel und hektische Winde schüttelten sie durch. Was sollte das denn bedeuten? Die Blume ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie wusste, dass sie beschützt war.

In diesem Fall war ihr Schutzengel tatsächlich schon unterwegs. Ein Mann war mit seinem Auto auf dem Weg zum „Großen Kreuz“. Es war der große Mann, der hier jeden Tag über die Kreuzung fuhr. Heute war er wieder besonders traurig. Dunkle Wolken umgaben sein Herz an diesem sonnigen Tag und er fühlte sich so, als ob er gleich weinen musste. So fuhr er auf die Kreuzung. Da sah er plötzlich die wunderschöne Blume, die sich bereits prachtvoll entfaltet hatte. Was dann geschah, ging alles rasend schnell. Er begriff sofort, wo er hier war und in welch großer Gefahr diese Schönheit war und dass er unbedingt helfen müsste. Und schon stieg er in die Bremsen und kam genau vor der Blume zum stehen.

Er stieg aus und setzte sich im Schneidersitz vor sie hin. Ach, wie schön sie war. Sie ruhte in sich selbst. Sie strahlte Glück und Sorglosigkeit aus. Er war von ihrem Antlitz verzaubert. Er empfand Liebe. Seine Not und die Welt um ihn herum hatte er für diesen Augenblick vergessen.

„Was machst denn du armes kleines Blümchen hier so ganz alleine an diesem hässlichen und gemeinen Ort? Da hat dir das Schicksal aber einen schönen Streich gespielt. Du wirst hier nicht lange glücklich sein.“ Und da musste er wieder daran denken, wie traurig er auch immer ist. Nun im doppelten Leid, fing er wieder an zu weinen. Er weinte wie ein warmer Sommerregen. Lange und ergiebig. Sein Taschentuch wurde gewässert. – „Nun weine doch nicht so“, sprach die Blume plötzlich zu ihm. „Du machst ja alles nass hier und ich war doch so froh, dass es gerade mal nicht regnet. So ein herrlicher, sonniger Tag, genau richtig, um die Welt zu entdecken. Kannst du dich nicht lieber mal um diese großen Dinger kümmern, die so um mich herumsausen, dass mir ganz schwindelig wird. Das ist ganz schön lästig.“

War das die Blume, die da zu ihm sprach? Zumindest hörte er sie sprechen. Im selben Moment nahm er aber auch ein riesiges Geschrei, Lärm und Gehupe war. Der ganze Krach und die Wut galt anscheinend ihm. Was war passiert? Der Mann hatte mitten auf der größten Kreuzung der Stadt angehalten und dabei den anderen Verkehr komplett blockiert. Fast hätten ihn die Autos hinter ihm gerammt, als er so plötzlich bremste. Die, die den Ursprung der Blockade sehen konnten hupten und schrieen ihn an, die die weiter weg waren, hupten einfach so und stritten sich mit ihren Nachbarn, denn irgend jemand musste ja schließlich Schuld an dem Schlamassel sein. Es war das herrlichste Hupkonzert, dass jemals auf dieser Kreuzung veranstaltet wurde. Mittlerweile waren alle Strassen der Stadt verstopft. Und überall wurde geschrieen und gehupt. Es waren zu der Tageszeit gerade die meisten Autos unterwegs und nun waren sie alle miteinander verknotet. Selbst wenn der Mann jetzt beschließen würde, wieder los zu fahren, es würde gar nicht mehr gehen. Man müsste von außen, also außerhalb der Stadt, anfangen ein Auto nach dem anderen wegzunehmen, um das erzeugte Durcheinander zu beseitigen.

Als die Menschen merkten, dass all ihr Schreien, Hupen und Zanken nichts nützte und der Mann sich auch nicht ein bisschen regte, wurden sie ratlos. Es setzte ein ganz eigentümliches Schweigen ein.

Ein kleiner Junge hatte sich nach vorne durch gearbeitet. Es war der Junge aus dem Hochhaus. Dies war seine Kreuzung. Von oben hatte er durch sein Fernglas den Mann beobachtet. Er wußte, dass er helfen musste und er ließ alles stehen und liegen und lief die Treppen wie im Fluge nach unten. Jetzt hatte er als Einziger den Mut, den Mann zu fragen. „ Kann ich dir helfen?“ Keine Antwort „ Was ist denn eigentlich los?“ Der Mann zeigte dem Jungen die Blume und sagte: „Sieh nur, wie schön sie ist. Sie wird sterben in diesem Chaos. Ich kann hier nicht ohne sie fortgehen. Ich kann sie aber auch nicht abpflücken, dann würde ich sie umbringen. Und so muss ich hier bleiben, bis ich eine Lösung gefunden habe. Ich muss sie beschützen, muss sie irgendwie daraus bekommen, ohne ihre Wurzel zu zerstören.“ „Darf ich dir helfen,“ fragte der Junge. „Da oben in dem Hochhaus ist alles so trist. Für diese Blume lohnt es sich zu leben!“

Menschen sind oft sehr seltsam, denn als sich die Geschichte von der Blume unter der Masse rumsprach, fingen alle an mit zu fühlen und mit zu denken. Es waren sogar die, die eben noch am lautesten geschrieen hatten, die, die sich jetzt die größten Sorgen machten. Wie aus dem Nichts waren Reporter vor Ort und wollten alles über die seltsame Blume wissen, die mitten auf der Kreuzung zu blühen anfing. Man freute sich, dass es in einer trostlosen Zeit noch Liebe gab. Ein Zeichen des Himmels und man sollte davon lernen. Es wurde gepingt, getwittert und gechattet. Fernsehen, Radio und die Zeitungen, alle mussten berichten. Der Mann war ein Held. Der Junge natürlich auch. Sie waren die „Ritter des Herzens!“

Die Feuerwehr kam mit großem Gerät und so stand plötzlich ein Mann mit einem Presslufthammer neben der Blume. Da erschrak sie sehr. „Tut mir keine Gewalt an! Ich kann hier nicht weg, was denkt ihr denn?“ sagte die Blume. „Dies ist mein Zuhause. Es ist doch meine Aufgabe, hier zu sein. Was wollt ihr denn alle von mir?“ Der Mann und der Junge konnten den Feuerwehrmann zurückweisen, aber geklärt war die Situation damit noch nicht. Die Menge wurde unruhig. Aber unsere Helden blieben unbeirrbar. Irgendwann hatte der Junge eine Idee. Er flüsterte der Blume etwas in ihre Blüte. Sie musste lange darüber nachdenken, doch dann wurde sie auf einmal schlaff und fiel in sich zusammen. Da konnte der Mann sie ohne die Wurzel zu verletzen ganz einfach aus dem Beton ziehen. Sie hatte losgelassen. Da es nirgends in der Gegend Wasser gab, wickelte der Mann sie in sein von Tränen durchnässtes Taschentuch. Sehr vorsichtig, so als ob er eben sein neu geborenes Baby in den Arm bekommen hätte. Er war sich sicher, dass sie sich erholen würde. Was für ein Geschenk hatte er da bekommen?

Als die Menge das sah, ging ein großer Jubel los. Es wusste immer noch keiner, was da wirklich vor sich ging, das war im Augenblick auch egal. Die beiden Helden hatten die geliebte Blume befreit, das war einfach herrlich. Etwas großartiges war geschehen. Die Nachricht wurde noch am Abend weltweit verbreitet und am nächsten Morgen waren die Titelseiten aller Zeitungen mit dem Ereignis gefüllt.

Unsere drei Helden machten sich währenddessen still und leise davon. Kein Mensch bemerkte ihr verschwinden. Sie ließen alles zurück, um irgendwo zu dritt ein neues Glück zu beginnen. Draußen auf dem Land fanden sie ein kleines Haus mit einem bezaubernden grünen Garten, wo sie von nun an gemeinsam leben wollten. Es gab einen plätschernden Bach, der durch den Garten floss. Die Vögel gaben die wundervollsten Konzerte. Dort wurde die Blume eingepflanzt. Und ihre Blumensamen durften sich, wenn sie es wollten, in dem Garten auch ein Plätzchen suchen. Viele gingen trotzdem fort um die Welt zu erkunden, aber es blieben immer so viele, dass der Garten für alle die ihn sahen ein nicht zu vergessendes Erlebnis wurde.

Und unsere beiden Männer hatten endlich ihren Platz gefunden, an dem sie erfüllt leben konnten. Jeder kümmerte sich um den anderen und um die Blumen. Sie hatten etwas für das sie leben konnten. Alles fühlte sich gut an. Und es war gut so.
Es dauerte drei volle Tage, bis die Stadt von dem Verkehrschaos befreit war. Hier und da erzählte man sich noch von den Helden der Kreuzung. Aber nach einem Monat konnte sich schon keiner mehr an die Blume erinnern. So sind die Menschen.

Was der Junge der Blume zugeflüstert hat wollt ihr noch wissen? Das bleibt ein Geheimnis zwischen den beiden. Überlegt doch mal.

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