Glauben Sie an Gott? …
„Eine letzte Frage noch. Glauben Sie an Gott?“ – Der Personalmanager sah mich fast bedrohend mit seinen großen Augen an und versuchte tief in meine Seele vor zu dringen.
Mist, verdammter. Ich war mir so sicher, dass ich den Job in der Tasche hatte. Was für eine fiese Frage zum Schluss. Es war mir klar, dass Gott hier nicht dazu gehörte, hier in der Direx-Holding, dem Blow-Up- und Run-Through-Fly-High-Unternehmen der vergangenen Jahre. Sämtliche Business-Shooting-Stars waren hier versammelt. Hier war die wirklich wichtige Welt vernetzt. Gläubige sind Weicheier, auch Leichtgläubige genannt. Wohlmöglich denken die in harten Verhandlungen plötzlich an Jesus und sein Habt-Euch-Alle-Lieb-Geschwätz. Es war als fragte er mich: „Glauben Sie an den Weihnachtsmann?“ oder „Nehmen Sie Drogen?“
Ich war nicht vorbereitet. Vor den Kopf geschlagen.
Nun passierte aber etwas merkwürdiges mit mir. Diese Frage hatte ich mir selbst lange nicht gestellt. Damals, als ich jung war und dachte es sei wichtig, die Welt zu verstehen, zuletzt. Ich vergass es im Laufe meiner Karriere. Auch mit anderen hatte ich darüber schon seit langem nicht geredet. Gott gehört nicht in unsere Welt. Wir haben doch den Fußball, tolle Autos, Mega-Screens und iPhones. Insofern fing ich an mich hier vor Ort selbst zu prüfen. „Sie scherzen!“, hätte ich sagen können und ihm dazu ein verstehendes Zwinkern mit auf den Weg geben. Alles wäre nach Plan gelaufen.
Aber ich wollte es selber wissen. „Glaube ich an Gott?“ – Irgendwie schon, aber anders. Es ist etwas da, dass mich ständig begleitet. Auch, wenn ich es lange nicht wahrgenommen habe. Meine Gedanken schossen querfeldein. Die Zeit schien still zu stehen. In irgendeinem Bewerbungsratgeber hatte ich gelesen, dass man auf keinen Fall Fragen an Personalmanager richten soll. Sie fühlen sich dann in ihrer Machtposition angegriffen und das kann zum sofortigen Knock out führen. Im Augenblick brauchte ich aber ein bisschen Luft und so fragte ich ihn wie beiläufig zurück: „Glauben Sie an Gott?“ – Bingo. Tatsächlich, mit dieser Frage hatte ich ihn unverzüglich in sein tiefstes Inneres versetzt. Er wurde nachdenklich, ließ einen Moment von mir ab. Und so konnte ich meinen Gedanken weiter nachgehen.
Gott, …, Glaube-Liebe-Hoffnung, Vaterunser, Jesus, der heilige Geist, die Bibel, Psalmen und Verse, die Kirche und der Pfarrer am Sonntag, Adam und Eva, Schuld und Sühne, Sintflut, Apokalypse, Taufe und Konfirmation, Beten und Sünden vergeben bekommen, … – Nein, damit hatte ich Probleme. Obwohl, nicht mit allem davon. Jesus, Jesus war mir schon immer sympathisch gewesen. Der Gedanke an die Mensch gewordene, reine Liebe. Und Glaube-Liebe-Hoffnung, das sagte mir auch etwas. Ich spürte wie es mich innerlich wärmte.
Die Sekretärin kam herein und brachte Kaffee und Gebäck. Wäre alles nach Fahrplan gelaufen, hätte ich jetzt schon meinen Job gehabt. Top-Sales-Director. Ein kräftiger Handschlag und ich wäre am Ziel meiner Träume angekommen. Die Aktenlage war wohl eindeutig gewesen und das Gespräch nur noch als eine Art Formsache gedacht. In Wirklichkeit saßen hier jetzt aber zwei gestandene Geschäftsleute und dachten über Gott und die Welt nach. Und nichts war entschieden. Die Dame mit dem Gebäck war sichtlich verunsichert. So hatte sie ihren Chef noch nicht gesehen. Er schien zu meditieren. Ein Lächeln umgab sein Gesicht. „Glauben Sie an Gott?“ fragte er Sie. Der Ton in dem er sie fragte hatte überhaupt nichts mehr von der Schärfe, mit dem er sie mir gestellt hatte. Er musste in dieser kurzen Zeit zu einer tiefen Erkenntnis gekommen sein.
Die Kaffeedame sah betroffen zur Seite, schwieg dazu und war gleich wieder fort. Fort und mit dieser schwierigen Frage allein gelassen.
Langsam überkam mich jedoch eine unbeschreibliche Klarheit. Es war gar keine schwierige Frage. Und ich war auch nicht allein.
„Nein, ich glaube nicht an Gott“, begann ich ihm zu antworten. Er schien erleichtert, dass nun doch alles seinen gewohnten Gang ging. „Ich glaube aber etwas viel größeres“, setzte ich nach einer kleinen Pause nach. „Ich glaube etwas, das die Kirche mit ihrem festgezurrten Bild von Gott uns nur Häppchen weise, oder gar nicht zuteilen will. Ich glaube die Liebe. Unendliche Liebe. Göttliche Liebe. Eine Kraft, die uns allen das Leben gegeben hat, das Leben gibt, durch die wir sehen, denken, fühlen und selbst lieben können. Die uns in Trauer und Freude begleitet. Sie ist unser Atem. Sie ist unser Puls. Sie ist unser Anfang und unser Ende. Sie ist in uns und wir können Sie sehen. Wir sehen sie wenn wir uns die Schöpfung der Erde betrachten und wir sehen sie, wenn uns ein netter Mitmensch freundlich anlächelt. Die Liebe braucht keine Gesetzestafeln und keine Priester, die den Zugang zu ihr gewähren oder verschließen. Sie ist bedingungslos. Sie ist frei. Sie kennt keine Schuld, die zu vergeben ist. Sie ist unser Leid und sie ist unsere Freude. Sie ist oben und sie ist unten und sie ist warm und sie ist kalt. Sie denkt nicht und sie lenkt nicht. Sie ist der wahre Lebensinhalt. Ich kann sie tief in mir spüren. Sie ist die Grundlage all meiner Entscheidungen. Aus ihr kommen wir und zu ihr gehen wir. Das alles und noch unendlich viel mehr, das ist Gott. Gott und Gott im Traum, als die Welt gestaltende Liebe. Der Traum, der unser Sein bedingt. Und ich glaube, dass Jesus Christus lebte, der von dieser Liebe und von Gott durchdrungen war. Er ist aber nicht mehr Gott gewesen, als du und ich Gott sind. Doch er hat Gott erkannt, Gott in sich erkannt und er wollte es der Welt mitteilen, aber kaum einer hat ihn wirklich verstanden. Und trotzdem hat er es gelebt. Und das lebt immer noch. Ja, das glaube ich.“
Welche Kraft lag in diesen Gedanken, die da aus mir in die Welt kamen? Das musste schon lange in mir geschlummert haben, dass ich es so auf den Punkt bringen und dann noch in einem Bewerbungsgespräch äußern konnte. Mein Gegenüber sah mich fassungslos an. Er setzte sich gerade in aufrechte Positur. – „Ja, dann haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch. Wir werden Ihnen unsere Entscheidung in den kommenden Tagen zukommen lassen. Nehmen Sie doch noch einen von diesen leckeren Keksen mit auf den Weg. Ich bringe Sie zur Tür.“ Doch noch ein kräftiger Handschlag zum Abschied und alles war vorbei.
Im Vorzimmer trank die nette Frau, die uns den Kaffee gebracht hatte, gerade ihren Tee. Sie lächelte leicht verträumt, als sie mir ihren freundlichen Abschiedsgruß zusprach. Ich erwiderte mit meinem sonnigsten Lächeln und verließ frohen Herzens die Welt der Macht.
Die Sonne schien während ich beseelt durch die Stadt ging. Was würde jetzt aus mir werden? Den Traumjob vermasselt. Ich wusste, dass ich in keinem dieser gottlosen Konzerne mehr arbeiten konnte. Etwas in mir war anders geworden.
Nein, ich glaube nicht an Gott. Es ist alles viel schöner. Ich bin in Gott und ich bin durch Gott, immer mit Gott. Und Gott ist Gewissheit. Ich freute mich auf die kommende Zeit, in der ich alles über diese wunderbare Liebe erfahren wollte. Gott sollte mich führen.
Ein paar Tage später erhielt ich einen Brief. Post von der Direx-Holding. „Sehr geehrter Herr …, wir bedanken uns für Ihr Bemühen um die Direx-Holding. Die Vielzahl an qualifizierten Bewerbern hat uns überrascht. So ist uns die Entscheidung nicht leicht gefallen. Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir uns für einen anderen Kandidaten entschieden haben. Auf Ihrem weiteren Weg wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Bei Ihrer Qualifikation werden Sie sicher in Kürze etwas passendes finden.“ – Nicht sehr stilsicher, aber letztlich ist es ja völlig egal, was in solchen Absageschreiben steht. Die Nachricht war schlicht und einfach und mir ja längst klar: „Not you!“
Etwas anderes war viel bemerkenswerter. Mitten über das Schreiben war eine große Post-It-Nachricht mit einem Smiley geklebt. „Hallo Herr …, das was Sie da über Gott und die Liebe gesagt haben, hat mich stark bewegt. Ich würde gerne mehr mit Ihnen darüber reden. Rufen Sie mich doch einmal privat an. … und das mit der Stelle tut mir Leid. Die Richtlinien vom Vorstand sind in einigen Teilen sehr hart. Es steht zwar nirgends geschrieben, aber Gott ist nicht ‚Part of the plan‘ und wir, als Personalmanager, sollen das sicherstellen! Mit herzlichen Grüßen Ein Erwachender.“
In Gott bist du niemals allein.